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Zwischen Gottesdienst und Ehrenmord

Das Interview führte Dirk Bathe20. Oktober 2008

Friederike Weltzien hat die deutsche Gemeinde in Beirut geleitet. Mit DW-WORLD sprach sie über ihre Liebe zum Libanon, Raketenbeschuss im eigenen Stadtviertel und ihr neues Buch.

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Cover des Buches: 'Warum musstest Du sterben, Fidaa?', Quelle: Herder-Verlag
Cover des Buches: 'Warum musstest Du sterben, Fidaa?'Bild: Herder-Verlag

DW-WORLD:

Frau Weltzien, Sie gingen 1999 in den Libanon und erlebten ein Land zwischen Aufschwung, Krieg und Unruhen – wie war das für Sie?

Friederike Weltzien:

Wir haben wirklich eine große Spannbreite erlebt. Als als wir 1999 nach Beirut kamen, waren das die hoffnungsvollsten Jahre. Überall hat man sich Hoffnungen auf einen Frieden mit Israel gemacht, doch das wurde abrupt unterbrochen von der Zweiten Intifada: Von da ab wurde es immer schlimmer, hinsichtlich der Beziehungen zu Israel aber auch gegenüber der Besatzungsmacht Syrien, die uns zwar den Frieden gebracht hat, die das Land aber auch regelrecht ausgesaugt hat.

Nach der Ermordung von Ministerpräsident Hariri gab es noch mal eine große Aufbruchsbewegung. Ich dachte damals: "Wow! Jetzt schließen sich endlich alle zusammen, über religiöse Grenzen hinweg!" und es gab dieses Gefühl, ein gemeinsames Volk zu sein. Aber das hatte keinen Bestand: 2006 nach dem Krieg gegen Israel - das war die größte Depression, die ich im Libanon erlebt habe. Ich habe die Libanesen noch nie so deprimiert erlebt wie damals.

Wie ging es für Sie weiter?

Friederike Weltzien, Quelle: DW-TV
Friederike Weltzien lebte von 1999 bis 2008 in Beirut

Ich habe die Entwicklung bis zum Sommer 2008 mitbekommen. Im Mai gab es diese Angriffe und wir wurden von der Hisbollah erobert, unsere Straße, unser Viertel. Uns sind damals regelrecht die Kugeln um die Ohren geflogen. Dass im Libanon jetzt endlich ein Präsident gewählt wurde, halte ich für einen wichtigen Schritt und für die beste Nachricht seit Mai.

Wie hat sich die Belagerung denn auf ihre deutsche Gemeinde in Beirut ausgewirkt – sind viele geflohen?

Die Deutschen in Beirut sind hartgesotten, wenn man das so sagen kann, weil sie schon viel erlebt haben. Es war sofort das eingeübte "Bürgerkriegsverhalten" wieder da: Man zieht sich in Flure, Toiletten oder in den Keller zurück zieht, und wartet, bis es vorbei ist. Ich bin damals mit meinem Sohn, meiner Schwester und deren Tochter geflüchtet: Wir sind während des Freitagsgebets, als alle ihre Kalaschnikows auf den Bürgersteig gelegt und gebetet haben, raus gefahren. Es war wirklich nur unser Viertel betroffen, nach 20 Minuten Fahrtzeit waren wir außerhalb der Stadt in den Bergen und dort blühte das Leben.

Sind Sie deshalb nicht wieder froh, in Deutschland zu sein?

Ich muss mich hier wieder an das Leben im Frieden gewöhnen. Ich bin immer noch besonders aufmerksam und horche auf, ob es irgendwo knallt. Dann sage ich mir immer wieder, dass ich keine Angst haben muss.

Cover des Buches: 'Warum musstest Du sterben, Fidaa?', Quelle: Herder-Verlag
Cover des Buches: 'Warum musstest Du sterben, Fidaa?'Bild: Herder-Verlag

In der Gemeinde in Beirut haben wir gelernt, mit solchen Situationen zu leben, nicht nur sich abzuschotten, sondern auch zu leben. Man wird ja auch gebraucht als Pfarrerin oder Pfarrer, es gibt so viele Menschen, die an einem hängen und an denen man selbst hängt und das macht es andererseits so schwer zu gehen.

Über ihre Zeit in Beirut haben Sie das Buch "Warum musstest Du sterben, Fidaa? Zwischen Gottesdienst und Ehrenmord" geschrieben – worum geht es da?

In dem Buch beschreibe ich unser Leben in der Gemeinde. Es hatte sich schnell herum gesprochen, dass vor allem Frauen bei uns immer Hilfe erhielten: Solche Orte gibt es im Libanon nur wenige und viele sind von Gewalt bedroht. Vor allem den jungen Mädchen, die nach dem Krieg mit ihren Familien aus Deutschland zurückgekehrt sind, wurde mit "Ehrenmord" gedroht, weil sie nicht mehr "unter Kontrolle" zu halten waren.

Wir haben in der Gemeinde ein Netzwerk aufgebaut mit Religionsführern und Vertretern aus den verschiedenen religiösen Gruppen: Mit denen konnten wir in die Familien gehen und versuchen, die Konflikte zu lösen. Und wir haben entdeckt, dass das ein ganz wirksamer Weg ist: In der Gesellschaft ist es anerkannt, dass man sich bei Konflikten an die religiöse Autorität wendet. Wenn es eine schiitische Familie ist, dann wird der schiitische Scheich gerufen, der dann wie ein Familienrichter alle Seiten anhört und mit der Familie gemeinsam eine Lösung sucht.



Friederike Weltzien: "Warum musstest Du sterben, Fidaa? Zwischen Gottesdient und Ehrenmord - Ein Bericht aus Beirut", Herder-Verlag, 19,95 Euro.